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Warum gibt es in Antwerpen kaum Stolpersteine?

Als Reiseleiter war ich früher oft in Berlin in der Nähe der Häckischen Höfe, der Touristenattraktion im ehemaligen Judenviertel. Dort könnte ich belgische Touristen auf die Stolpersteine ​​hinweisen. Diese kupferfarbenen Steine ​​- sie sind handgefertigt aus Messing - werden im Fußweg vor Häusern platziert, in denen Opfer des Naziregimes gelebt hatten. Weil der Passant symbolisch über diese Steine ​​stolpert entsteht ein allgegenwärtiges Mini-Denkmal oder Mahnmal, damit die Opfer nicht vergessen werden. Mittlerweile haben die Stolpersteine ​​von Günter Demnig auch Belgien erreicht. Auffallend ist jedoch, dass gerade in Antwerpen, wo eine beträchtliche jüdische Bevölkerung lebte und noch lebt, die Zahl der „Stolpersteine“ eher gering ist.

Natürlich kommt eine Registrierung der religiösen Überzeugungen der Bevölkerung durch die Behörden nicht (mehr) in Frage - und außerdem gibt es in Belgien keine "Kirchensteuer". Die genaue aktuelle Zahl der Antwerpener Juden ist also nicht bekannt, aber Schätzungen der aktuellen Größe der Antwerpener jüdischen Gemeinde erwähnen mindestens 20 bis 25.000 Juden. Warum gibt es dann so wenige Storpelsteine?


Bild: Stolpersteine in Brüssel im Marollenviertel, nicht weit vom Jüdischen Museum entfernt (© Johan Dieleman)


Die Größe der Antwerpener jüdischen Gemeinde zu Beginn des Krieges (der für Belgien mit dem deutschen Einmarsch am 10. Mai 1940 begann) lässt sich nicht genau bestimmen. Doch auf Initiative der deutschen Besatzer wurde eine Art Judenrat eingerichtet, der die Juden registrierte: Von den 13.779 registrierten Antwerpener Juden wurden 9.009 nach Auschwitz transportiert. Allerdings dürften kurz vor der Besetzung 30.000 Juden in Antwerpen gelebt haben. Schließlich waren viele osteuropäische Juden vor dem zunehmenden Antisemitismus in ihrer Heimat bereits unter anderem nach Belgien geflüchtet. Sie besaßen keine belgische Staatsangehörigkeit und zogen es vor, sich nicht öffentlich als Juden zu äußern, gerade wegen ihrer schlechten Erfahrungen in ihrem Herkunftsland.


Da 2/3 der Antwerpener Juden nicht aus den KZ-Lagern zurückkehrten, konnte man also damit rechnen, dass man im jüdischen Viertel über die Stolpersteine ​​stolpern würde. Nichts ist weniger wahr.

Es gibt mehrere Dutzend Stolpersteine ​​​​in verschiedenen Antwerpener Vororten oder Teilgemeinden, oft in Vierteln, in denen früher jüdische Familien lebten, heute aber überhaupt keine jüdische Gemeinde mehr vorhanden ist. Im jüdischen Viertel in der Antwerpener Innenstadt – das früher auch die größte jüdische Konzentration hatte – sind nur ein Dutzend Steine ​​zu finden. Außerdem kamen diese Steine ​​hauptsächlich auf Wunsch von Verwandten jüdischer Familien, die jedoch nicht selbst in Antwerpen leben. Von Seiten der Stadtverwaltung gab es lange Zeit großen Widerstand, mit dem Argument dass private Eingriffe in den öffentlichen Bereich (in diesem Fall der Fußweg) nicht erlaubt seien. Seit einigen Jahren liegt jedoch die Genehmigung der Stadt vor und somit sind die ersten Steine ​​aufgetaucht.


Doch die meisten jüdischen Einwohner sind nicht für diese Steine. Der bekannteste jüdische Gegner ist der Herausgeber einer jüdischen Zeitschrift in Antwerpen, der jetzt auch für die flämisch-nationalistische Partei einen Sitz im belgischen Parlament hat. Sein Argument ist, dass solche Steine ​​einem kommerziellen Zweck dienen (der Stein und seine Installation kosten leicht mehrere hundert Euro), aber vor allem, dass diese Steine ​​„respektlos“ sind: Es wird darauf getreten und Hunde hinterlassen etwas darauf. Andere argumentieren, dass es besser sei, individuelle Gedenkstätten durch eine gemeinsame Gedenkstätte zu ersetzen, damit an alle Opfer erinnert werde.


Im Gegensatz zu vielen anderen Orten in Belgien und im Ausland, wo mit historischem (Schuld-)Bewusstsein oder politischer Korrektheit fleißig Steine ​​gelegt werden, ist die Begeisterung in Antwerpen eher begrenzt. Das liegt paradoxerweise daran, dass viele Juden in Antwerpen leben, was in der Nähe vieler eifrigen Gedenkstätten oft nicht (mehr) der Fall ist.



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